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Adventkalender – 4 – Großonkel Paulus ist nachdenklich

Großonkel Paulus saß allein in seinem Zimmer und kaute auf seinem Pfeifenstiel. Das Gespräch mit seinem Großneffen Nikolaus hatte ihn nachdenklich, sehr nachdenklich gestimmt. Er konnte sich an keine Zeit erinnern, in der seine Mäusefamilie in einem Haus ohne gefüllte Speisekammer gelebt hatte. Ihm war klar, dass sie dieses schöne Haus, wo sie so lange glücklich, zufrieden und sicher gewohnt hatten, verlassen mussten. Aber ein Umzug, noch dazu im kalten Winter, war gefährlich, sehr gefährlich. Die Chancen, dass sie alle überleben würden, wären denkbar gering.
Es klopfte an der Tür. Großonkel Paulus hörte ein aufgeregtes Plaudern und Füße Scharren vor seiner Wohnung.
„Die Kinder mit ihrem Buch“, dachte er und einen Augenblick lang überlegte er, ob er sich schlafend stellen sollte, denn sein Kopf war voller trauriger Gedanken. Doch sein gutes Herz siegte. Er wusste, wie gerne die Kinder ihre Entdeckung mit ihm teilen wollten.
„Herein“, rief er freundlich.
Schon öffnete sich die Tür und Ruprecht, Leontinchen und Simon purzelten herein.
„Großonkel, Simon hat uns schon vorgelesen, aber wir verstehen es nicht!“, rief Leontinchen.
„Ein dunkles Volk und eine Ernte und ein wunderbarer Geberrat!“, schrie Ruprecht mit überschlagender Stimme und wedelte aufgeregt mit seiner Schmusedecke.
Simon legte das Buch auf Großonkels Schoß und schlug die richtige Seite auf.
„Ich habe den Kleinen vorgelesen“, sagte er würdig.
„Sehr tüchtig“, lobte ihn der Großonkel.
„Aber lies Du es uns noch einmal vor“, sagte Leontinchen, deren Vertrauen in Simons Lesekunst nicht allzu groß war.
In diesem Augenblick aber kam eine Gestalt, gehüllt in lila und grüne Stoffbahnen und umhüllt von einer Parfumwolke hereingeschwebt. Es war Tante Clementia, die Tochter von Großonkel Paulus. Sie lebte für sich alleine in einer Höhle im Wohnzimmer hinter dem Bücherregal. Sie hatte, so meinte Katrinchen, Nikolaus praktische Frau, „keinen Hausverstand, sondern Ambitionen im Kopf“. Keiner wusste allerdings genau, was Katrinchen damit meinte. Aber Tante Clementia, das war allen deutlich, war eine ganz eigene Maus. Sie verbrachte den Tag damit, Gewänder zu nähen, vor dem Spiegel auf und ab zu gehen und mit fuchtelnden Pfoten und lauter dramatischer Stimme „Theaterrollen“ zu deklamieren.
Die Mäusekinder versteckten sich manchmal im Bücherregal und hörten zu, wie Tante Clementia abwechselnd, um die Hilfe eines tapferen Ritters flehte, drohte, sich mit einem Dolch zu erstechen, und um verlorene Liebe trauerte. Sie fanden solche Exkursionen immer höchst unterhaltsam und sie kicherten manchmal so laut, daß Tante Clementia sie bemerkte und eine leere Parfümflasche nach ihnen warf.
Jetzt aber schauten sie böse auf sie, denn sie wollten sich ungestört mit Großonkel Paulus unterhalten.
„Wann gehst Du wieder?“, fragte Ruprecht frech. Doch Tante Clementia hörte gar nicht hin.

Veröffentlicht unter Adventkalender

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