„Vater“, rief Tante Clementia theatralisch, „ich bin am Boden zerstört. Mein Leben ist sinnlos geworden. Hast Du bemerkt, daß letzte Woche alle Bücher aus dem Bücherregal in Kisten gepackt wurden und verschwanden. Und bis heute ist kein einziges Buch, nicht einmal eine einzelne Seite, zurückgekehrt! Und überhaupt das ganze Haus ist verlassen und leer.“ „Ich weiß“, sagte Großonkel Paulus beschwichtigend. Er war nicht im geringsten überrascht, daß Clementia erst heute bemerkt hatte, daß das Haus leer stand. Doch Clementia ließ sich nicht beruhigen. Im Gegenteil sie raufte mit den Händen ihre leicht bläulich getönten Haare und jammerte:“ Ich kann ohne meine Theaterbücher nicht leben. Ohne sie lebe ich in einer trostlosen Finsternis“. Sie fing an zu Schluchzen. Simon, Leontinchen und Ruprecht schauten sie bestürzt an. Ruprecht schob sogar seine Schmusedecke zu Tante Clementia hinüber. Simon konnte sie nicht weinen sehen und sagte: „Tante Clementia, wir haben noch ein Buch. Du darfst es Dir auch ausborgen bis neue Bücher kommen.“
„Es ist ein Buch mit einem Ratgeber und mit einem hellen Licht, das die Finsternis vertreiben wird“, sagte Leontinchen. Tante Clementia hörte auf zu schluchzen, schneuzte sich zum Entsetzen Ruprechts in die Schmusedecke und lächelte schwach: „Das ist aber nett von Euch. Wo ist denn dieses Buch?“ Simon klopfte mit seiner Pfote auf das Buch. Tante Clementia nahm das Buch und blätterte mit spitzen Fingern und gerümpfter Nase die beschmierten Seiten um. Plötzlich stieß sie einen schrillen Schrei aus. Großonkel Paulus fiel vor Schreck die Pfeife aus dem Mund. „Was ist los?“ riefen die Kinder.
„Offenbarungen, hier steht „Offenbarung““, stammelte Tante Clementia immer wieder und zeigte auf ein Wort. Sie drückte das Buch an sich und schwankte theatralisch hin und her.
„Was sind Offenbarungen?“, fragte Ruprecht. „Du bist auf der falschen Seite“, sagte Leontinchen, ungerührt von der Szene. Sie war genau so praktisch veranlagt, wie ihrer Mutter. Simon, der Tante Clementias Gefühlsausbrüche immer lächerlich fand, versuchte nicht laut zu lachen. Er nahm ihr das Buch weg, schlug die richtige Seite auf und überreichte es Großonkel Paulus.
