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Adventkalender – 2. Tag

„Giulia! Jetzt reicht es! Ich weiß, dass du irgendwo da hinten bist. Muss ich wirklich kommen und dir Beine machen? HerrGott nochmal, Kind! Ich habe keine Zeit für diesen Unsinn.“

Mamas Stimme klang jetzt richtig böse.

Unwillig kroch Giulia zwischen den Büschen heraus.

Wenn sie jetzt nicht kam, würde es kein Abendessen für sie geben. Und sie hatte Hunger, großen Hunger. Sie konnte beinahe so viel essen wie Francesco, während Giovanni in seinem Essen herumstocherte und wie ein kleiner Spatz nur hie und da einen Bissen aß, obwohl Mama ihm immer die besten Stücke auf den Teller legte.

Das war auch so eine ungerecht Sache, fand Giulia. Aber sie protestierte nicht, denn oft schmuggelte Giovanni heimlich die meisten Leckerbissen auf ihren Teller hinüber, weil er keinen Hunger hatte.

Kein Wunder, dass er nicht und nicht kräftiger wurde. Er müsste auch besser essen.

„Giulia, zum allerletzten Mal!“

„Ja, ja, ich bin schon da.“

Giulia rannte die letzten Schritte über den Hof ins Haus hinein.

„Ich war ein bisschen müde nach der Schule“, log sie.  „Sie war heute richtig anstrengend.“

Ihre Mutter strich sich eine schweißnasse Haarlocke aus der Stirn. Das Bügeleisen dampfte.

„Ich bin auch müde, Giulia“, sagte sie. „Trotzdem arbeite ich, denn sonst gibt es heute keine Pasta am Abend. Und jetzt beeil dich mit deinen Aufgaben. Die nächste Wäsche im Garten ist bestimmt schon trocken. Du kannst sie abnehmen und mir bringen, und dann läufst du zum Kaufmann und holst Mehl. Wenn du zurückkommst, kannst du den Pastateig  kneten. In deinem Alter konnte ich schon perfekte Ravioli zubereiten.“

Die Wäsche, einkaufen gehen, Pasta machen. Giulias Blick fiel auf Giovanni, der auf seinem Stuhl saß und wieder seine Nase in ein dickes Buch gesteckt hatte. Er war heute nicht zur Schule gegangen. Er konnte nicht wirklich müde sein.

„Kann Giovanni nicht zum Kaufmann gehen?“, fragte sie. „Seit Stunden liest er.“

Mama schüttelte den Kopf.

„Er soll sich nicht anstrengen. Das weißt du. Und ich würde mir wünschen, dass du das endlich verstehst. Dein Bruder ist doch so krank gewesen. Wir müssen vorsichtig sein.“

„Genau“, dachte Giulia. „Er ist krank gewesen. Aber seit langem hat er keinen Arzt mehr gebraucht. Er ist schwach, das stimmt. Aber wie sollte einer kräftiger werden,  wenn er nie richtig Hunger hat?“ Hungrig wurde man, das wusste Giulia genau, wenn man sich anstrengte. Sie selbst war der beste Beweis dafür. Nein, Giovanni würde immer schwach bleiben, weil er nicht arbeiten musste.

„Zum Kaufmann ist es wirklich nicht weit, Mama. Und draußen ist es überhaupt nicht mehr heiß“, versuchte sie es nochmals. „Er kann das, Mama. Und dann mach ich auch alles andere ohne zu murren.“

„Giulia, du hörst jetzt damit auf. Du machst das, was ich dir sage.“ Mamas Stimme klang endgültig.

„Das ist so gemein“, dachte Giulia. „Das ist so gemein.“ Und sie nahm sich fest vor, ab jetzt, jedes Mal, wenn Mama und Francesco nicht da waren, Giovanni zu zwingen richtig zu arbeiten. Und sie würde nicht zulassen, dass er nach ein paar Minuten aufgab. Oh, nein, er sollte arbeiten, einen ordentlichen Hunger bekommen und dann einen großen Teller voll mit Pasta essen.

So würde er bald genauso kräftig sein wie sie selbst.

Sie warf ihm einen Blick zu. „Warte nur, du kleiner Faulpelzprinz“, sagte der Blick. „Wenn Papa da wäre, hätte er das längst auch so gemacht. Er hätte nicht zugelassen, dass du so verhätschelt wirst und immer schwach bleibst. Jetzt werde ich diese Aufgabe übernehmen.“

Und mit diesem guten Vorsatz holte Giulia die Wäsche herein und lief zum Kaufmann am Dorfplatz.

Veröffentlicht unter Adventkalender

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