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Adventkalender – 16. Tag

Alles verlief nach Plan. Nach der Chorprobe rieb sich Giulia die Stirn und stöhnte. Simone holte den Chorleiter, und der war einverstanden, dass sie sich hinlegte.

„Hoffentlich wirst du mir nicht krank“, sagte er besorgt. „Deine Stimme ist wirklich sehr wichtig.“

„Bestimmt geht es mir bald besser, wenn ich mich jetzt gut ausruhe“, sagte Giulia.

„Ich bleibe bei ihm“, bot Simone an.

„Nein, das ist nicht notwendig“, meinte der Chorleiter. „Ich werde die Schwestern bitten, ein Auge auf Giulio zu haben. Du willst doch nicht die schöne Stadt versäumen? Wer weiß, wann du wieder nach Rom kommst.“

„Ja, geh nur, Simone“, murmelte Giulia matt und freute sich heimlich, dass sie so gut Schauspielen konnte.  

Simone machte ein ängstliches Gesicht.

„Ich, ich möchte lieber da bleiben“, stotterte er und tat so, als wäre es ihm peinlich, seine Angst zuzugeben. „Ich fürchte mich, vor den vielen Autos. Bitte, bitte darf ich auch dableiben?“

Der Chorleiter schüttelte verwundert den Kopf.

„Du bist ein komischer Kerl“, sagte er. „Angst vor Autos!“

„Als ich einmal in Terni war, ist ein Auto in mich hineingefahren“, sagte Simone rasch und ließ sein Gesicht noch eine Spur ängstlicher wirken.

Der Chorleiter betrachtete ihn, nickte und meinte: „Wenn dir das wirklich lieber ist. Aber schade ist es doch.“

Simone nickte heftig, und seine Erleichterung war nicht gespielt.

Als der Chorleiter das Zimmer verließ, unterdrückten beide das Lachen. Die erste Hürde war geschafft.

Eine halbe Stunde später schlichen sich Giulia und Simone aus dem Haus. Sie gingen ein gutes Stück die Straße hinunter und entdeckten die Peterskirche mit dem riesigen Platz davor. Tausende Leute bummelten darüber. Giulia nahm all ihren Mut zusammen und sprach eine Dame an, die ihnen beladen mit zwei Einkaufstaschen entgegenkam.

„Entschuldigen Sie“, sagte sie höflich. „Können Sie mir sagen, wo das Santo Bambino wohnt?“

„In der Aracoeli“, sagte die Frau und ging weiter.

„Das weiß ich auch schon“, ärgerte sich Giulia. Sie hatte die falsche Art von Frage gestellt.

„Signor, Signor.“ Simone stellte sich einem Herrn in den Weg, der an ihnen vorbei eilen wollte.

„Ich gebe nichts“, rief dieser brüsk und schob ihn zur Seite.

„Wo ist die Aracoeli?“, fragte Giulia wenig später ein junges Paar, das Händchen haltend über den  Platz spazierte.

„Die Borgo Santo Spirito hinunter, über den Tiber und dann Richtung Forum Romanum. Da fragst du am besten weiter“, antwortete der Mann freundlich und wandte sich wieder seiner Freundin zu. Sie schlenderten weiter.

„Und woher soll ich wissen, welche Straße diese Borgo Santo Spirito ist“, rief Giulia ihnen nach.

Die junge Frau drehte sich nochmals um und rief fröhlich: „Immer der Nase nach.“

Giulia hörte, wie die beiden lachten.

„So wird das nichts“, meinte Simone entmutigt. „Wir brauchen jemanden, der uns zuhört, der sich Zeit nimmt, es richtig zu erklären.“

Giulias Blick fiel auf zwei Priester. Der eine sah aus wie eine jüngere Version von Don Pietro, hager und mit einem kantigen Gesicht. Der andere jedoch hatte ganz blondes Haar und war so groß, dass er alle überragte.

„Wir fragen diese beiden“, schlug sie vor. „Die müssten uns verstehen.“

Sie gingen auf die Priester zu.

„Entschuldigen Sie“, sagte Giulia. „Wir brauchen Hilfe.“

Die beiden Männer schauten auf sie hinunter.

„Hilfe“, sagte der Kleinere fromm. „Wir alle brauchen Gottes Hilfe, mein Kind.“

„Ach Luciano“, sagte der Riese und sein Italienisch klang seltsam. „Der Kleine möchte eine Auskünft. Stimmt das richtig so?“

Giulia nickte.

„Ich muss zum Santo Bambino“, sagte sie.

„Die Aracoelikirche“, sagte der Kleinere rasch. „Es ist schon ein rechter Unfug, was sie dort treiben mit der Statue. Lassen Kinder predigen.“  Er wollte weitergehen, aber der Riese hielt ihn zurück.

„Ich glaube, das war noch nicht die richtige Antwört, oder?“, fragte er Giulia.

„Ich, ich weiß nicht, wie ich dort hinkommen soll.“

„Die Borgo San Spirito….“

„Nein, nein, nein Luciano“, schimpfte der andere gutmütig. „So geht das nicht.“ Er beugte sich zu Giulia hinunter. „Du mochtest diese Kirche aufsuchen?“

Giulia nickte

„Ich, ich habe eine ganz wichtige Bitte an das Santo Bambino. Wir sind deshalb den weiten Weg aus Stroncone angereist.“

„Aus Stroncone?“  Der Kleinere betrachtete die beiden Kinder. „Gehört ihr etwas zum dem Knabenchor und seid jetzt ganz alleine unterwegs? Weiß das jemand?“ Er schaute auf einmal sehr streng.

Giulia und Simone schüttelten heftig ihre Köpfe.

„Unser Onkel hat uns mitgenommen“, erfand Simone.

„Und dieser Onkel lässt euch alleine hier herum laufen?“, fragte der kleinere Priester misstrauisch.

„Luciano.“ Der Größere mischte sich wieder ein. „Wir haben noch immer nicht die richtige Auskünft gegeben.“ Er schaute Giulia einen Augenblick lang durchdringend an. „Es ist wichtig oder?“, fragte er leiser.

Giulia nickte.

„Mein kleiner Bruder ist krank. Das Santo Bambino soll ihm helfen“, flüsterte sie dem großen Priester zu. 

„Ich verstehe. Ja, ich verstehe.“

Der Riese griff in die Tasche seiner Soutane, holte einen Stadtplan heraus und faltete ihn auf.

„Jetzt stecken wir einmal die Kopfe hier hinein“, forderte er Giulia und Simone auf. Geduldig zeigte er ihnen, wie sie vom Petersplatz zur Kirche laufen sollten. Er ließ beide alles wiederholen, faltete den Plan zusammen, wollte ihn schon zurück in die Tasche stecken, überlegte kurz und reichte ihn dann Giulia.

„Besser du behältst ihn“, sagte er.

„Danke.“

„Also. Ich weiß nicht, ob du das Richtige tust“, mischte sich der Kleinere plötzlich ein. „Diese Geschichte mit dem Onkel glaube ich nicht. Vielleicht sollten wir einen Polizisten bitten …“

„Jetzt hör auf, Luciano. Die beiden Kinder wollen zum Santo Bambino. Das ist kein Verbrechen.  Und sicherlich sitzt der famose Onkel, der seine Neffen zum Weihnachtenfest nach Rom mitnimmt, dort drüben im Kaffeehaus. Oder?“ Er zwinkerte Simone zu.

„Ja, da drüben sitzt er“, log Simone und winkte mit seiner Hand vage in die Richtung. „Siehst du Luciano. Alles in schöner Ordnung. Nun lauft ihr beiden.“ Er beugte sich nochmals zu Giulia, sodass nur sie das nächste hören konnte: „Wer weiß, vielleicht sehen wir uns doch morgen Abend im Petersdom wieder. Vielleicht singst du, oder?“

Veröffentlicht unter Adventkalender

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