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Adventkalender – 4. Tag

Basima ist neugierig

Der braune Koffer aus dem Schuppen stand unbeachtet in einer Ecke des Zimmers.
Weder Yasin, noch Aleyna, noch Opa Hamid kümmerten sich darum.
Aber Basima war neugierig. Jedes Mal, wenn sie hinunterkam, um – wie sie sagte – Aleyna zu bitten, ihr ein wenig zur Hand zu gehen, weil jemand sich doch um das Kind kümmern musste, und es nicht gut für das Kind war, den ganzen Tag alleine zu hocken und traurig zu sein, jedes Mal fiel ihr Blick auf den verschlossenen Koffer.
„Was habt ihr denn noch retten können?“, fragte sie Aleyna schließlich, als sie ihre Neugier nicht mehr bezwingen konnte.
„Sachen“, antwortete Aleyna einsilbig.
„Sachen?“ Basima zog ihre Augenbrauen in die Höhe.
„Ja. Irgendwelche kleinen kaputten Dinge, die Yasin …“ Aleyna stockte. Sie wollte nicht an den Bombentrichter denken.
„Kaputte Dinge? Mädchen, warum sollte so ein verständiger Bursche wie Yasin kaputte Dinge aufheben?“ Basima schüttelte entrüstet den Kopf.
„Es gab ja nichts mehr, das ganz war“, murmelte Aleyna unwirsch und wünschte sich, dass Basima mit der Fragerei aufhörte und endlich sagte, welche Arbeit sie für sie erledigen sollte.
Basima spitzte ihre Lippen missbilligend. Das Mädchen hatte kein Benehmen. Kein Wunder. Über Husseins Verwandtschaft hatte sie noch nie viel Gutes sagen können.
Na ja, solange die drei die Miete zahlten, sollte es ihr recht sein, dass sie hier unten hausten. Und dreckig waren sie nicht.
„Du kannst die Teppiche klopfen“, sagte sie laut zu Aleyna. „Und besser als das letzte Mal. Da hast du sie offenbar nur gestreichelt.“
„Ich komme gleich, Cousine Basima.“ Aleyna deutete auf die dampfende Tasse Tee, die vor ihr auf dem Tisch stand.
Basima schnaubte hörbar.
Aber Aleyna nahm in aller Ruhe ein Schlückchen Tee und stellte die Tasse wieder ab. „Noch zu heiß“, sagte sie mit flacher Stimme.
Basimas Augen blitzten wütend über diese Frechheit. Das Mädchen verdiente eine Ohrfeige, aber Basima hielt sich zurück. Hussein würde das missbilligen. Mädchen werden nicht geschlagen. Das war seine Philosophie.
„Wenn du gleich hinauf kommst, nimm zwei volle Kanister Wasser mit. Dann habe ich das auch erledigt“, befahl sie stattdessen mit zorniger Stimme.
„Natürlich“, versprach Aleyna lächelnd und freute sich insgeheim, doch einen kleinen Sieg über Basima errungen zu haben.
„Beeil dich“, knurrte Basima, und mit einem letzten neugierigen Blick auf den Koffer drehte sie sich um und verschwand.
Während Basima die Stiegen hinaufging, überlegte sie, dass sie Hussein doch darauf hinweisen musste, dass die Gäste sparsamer mit dem Gas umgehen sollten. Er hatte zwar weitblickend einen größeren Vorrat an Propangasbehältern eingekauft, aber es war wirklich nicht notwendig, dass das Mädchen tagsüber für sich selbst Tee aufbrühte. Ein eigensüchtiger, verschwenderischer Charakterzug war das. Und was diesen Koffer betraf, über den das Kind so eigenartig schwieg: Basima war jetzt überzeugt, dass darin sehr wohl etwas Wertvolles sein müsste.
Aber sie würde es noch herausfinden. Irgendwann hatte Hamid nicht mehr genug Geld für die Miete, und dann musste er damit herausrücken. Hatten die Nassarifs nicht schöne silberne Kerzenständer besessen, und war Aleynas Mutter an den Feiertagen nicht mit einer goldenen Halskette, Armband und Ohrringen herumstolziert? Je mehr Basima über diesen Koffer nachdachte, umso sicherer war sie sich, dass die drei darin ein kleines Vermögen aufbewahrten.

Veröffentlicht unter Adventkalender

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