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Adventkalender – 6. Dezember

Die Abkürzung

Die Abkürzung zur Baumhütte! Lotti wurde blass. Die Abkürzung bedeutete, dass sie nach der Kapelle am Rand des Hochmoores bei Müllbergers über den Zaun ihres hinteren Gemüsegartens kletterten, sich an Komposthaufen, Schuppen und einer Reihe von Beerensträuchern vorbeischlichen, um in der anderen Ecke, wo der Bach an das Grundstück grenzte, wieder über den Zaun zu klettern. Dort im Dreieck zwischen Hochmoor, Müllbergers Grundstück und dem Bach mitten in einem kleinen Wäldchen wie auf einer Insel hatten sie ihr Baumhaus gebaut. Baumhaus war vielleicht ein wenig übertrieben. Sie hatten mit Seilen und dünnen Baumstämmen zwischen drei Weiden eine kleine Plattform errichtet und darüber eine Plastikplane gespannt.
Sie konnten ihre Insel von der anderen Dorfseite her über den Bach erreichen. Dafür benutzten sie die geheime Brücke, ein Brett, das sie jedes Mal sorgfältig versteckten, wenn sie es benutzt hatten.
Aber von dieser Seite gab es eben nur den Zugang über Müllbergers Grundstück.
„Und wenn wir den Wanderweg durch das Hochmoor nehmen, um auf die andere Dorfseite zu gelangen?“, fragte Lotti dennoch, obwohl sie wusste, dass das eine dumme Idee war.
„Lotti, das sind vier Kilometer. Bis wir vier Kilometer gegangen sind, ist es draußen längst stockfinster“, antwortete Felix auch prompt. „Im Dunkeln verlieren wir die Markierung und wandern ins Moor hinein, immer tiefer und tiefer, bis es unter unseren Füßen plötzlich blubb, blubb macht und dann …“
„Ja, ich weiß!“, rief Lotti. Sie hatte jetzt wirklich keine Lust auf Felix Schauergeschichten. Es war schlimm genug, wenn sie an Müllbergers Hund dachte, der nie angekettet wurde und deshalb immer draußen im riesigen Garten herumstreifte, und der ein Gehör hatte, mit dem er die Regenwürmer kauen und die Ameisen kriechen hören konnte.
Lotti konnte sich nur allzu lebhaft vorstellen, was Müllbergers Hund tun würde, wenn er das Geräusch von zwei Kindern hörte, die über seinen Zaun kletterten und offensichtlich auch noch einen Gegenstand mitschleppten. Und wer weiß, wie verlockend so ein Lederkoffer für einen Hund roch. Das Leder war ja schließlich einmal die Haut eines Tieres gewesen.
„Aus was für Tiere macht man Leder?“, fragte Lotti.
„He?“ Felix schaute sie an, als ob er befürchtete, dass Lotti ihren Verstand verloren hatte.
„Ach nichts“, sagte Lotti rasch. Es spielte ja auch keine Rolle. Müllbergers Hund würde über jedes fremde Tier auf seinem Herrschaftsgebiet in Rage geraten, sogar wenn dieses Tier längst tot war und zwei Kinder bloß noch die Haut durch die Gegend trugen. Und auch wenn sie den Koffer nicht mitnehmen würden, was ja nicht in Frage kam, würde Müllbergers Hund trotzdem in Rage geraten, weil auch zwei fremde Kinder nichts auf seinem Grundstück zu suchen hatten.
„Gut. Dann sind wir uns einig“, sagte Felix. „Ich klettere zuerst, du reichst mir den Koffer hinüber, dann kletterst du, und dann laufen wir.“
Laufen! Nichts und niemand konnte schneller laufen als Müllbergers Hund. Vielleicht wenn eine Lotti gerade auf der Straße ging und Müllbergers Hund am Zaun entlang jagte und versuchte sie durch das Gitter zu erwischen, konnte eine andere Lotti hinten durch den Garten rennen, bevor Müllbergers Hund beschloss lieber diese Lotti zu beißen, als jene die für ihn unerreichbare vorne auf der Straße spazierte.
Das war es! Noch nie hatte Lotti so einen Geistesblitz gehabt.
„Warte“, rief sie Felix zu. „Ich habe einen Plan.“

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Veröffentlicht unter Adventkalender

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