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Adventkalender – 9. Dezember

betenIn den nächsten Tagen steuerte das Schiff seinen Heimathafen Venetia an. Cosmo bekam Don Matteo nicht zu Gesicht. Dieser residierte zusammen mit den beiden Kapitänen in den bequem ausgestatteten Kabinen des Vorderdecks. Cosmo wurde Paddy, dem Iren, als Helfer zugewiesen. Paddy war gutmütig, und obwohl er Cosmo hart arbeiten ließ, gab es immer wieder, vor allem in der Mittagshitze, Ruhepausen, in denen Cosmo sich an den Bug des Schiffes setzte und aufs offene Meer hinausstarrte. Das unaufhörliche Rollen der Wellen, die sich schäumend unter dem Kiel des Schiffes durchzogen, faszinierten ihn.
Oft setzte Ibrahim sich zu ihm und erzählte vom fernen Tunis, wo er geboren war. Von den weißen Häusern, den grünen Palmen mit ihren köstlichen Kokosnüssen und Datteln. Von den tausend verschiedenen Gerüchen im Basar und von der endlosen Wüste, die sich hinter der Stadt ausbreitete wie ein Meer aus goldgelbem heißen Sand. Auch die Wasserbeuteltiere kannte Ibrahim gut. Sein Onkel hatte einige besessen, um seine Güter durch die Wüste zu transportieren. Leider waren die Geschäfte des Onkels schlecht gegangen und Ibrahim, schon früh zur Waise geworden, war von seinem Onkel an einen
seiner tunesischen Gläubiger verkauft worden. Der Gläubiger hatte nichts dabei gefunden, den Buben an Don Matteo für einen guten Preis weiter zu verkaufen.
„Wenn meine Eltern geahnt hätten“, lachte Ibrahim sonnig, „dass ich Sklave bei den Ungläubigen werden würde, wären sie vor Kummer gestorben, und nicht an der Pest.“
„Wir sind keine Ungläubigen“ verteidigte sich Cosmo entrüstet.
„Für uns schon.“ widersprach Ibrahim. „Schau dir alle hier an, schau dich selbst an. Wer von euch betet?
Bei uns daheim gehen alle Männer in die Moschee, mehrmals am Tag, und beten gemeinsam. Wenn keine Moschee in der Nähe ist, so muss jeder von uns zu den Gebetszeiten einen kleinen Teppich ausbreiten, nach Mekka schauen, sich vor Gott demütig niederwerfen und beten.“
„Ich habe dich noch nie beten gesehen!“ sagte Cosmo.
„Ach, hier ist nicht daheim.“ meinte Ibrahim und zuckte unbeschwert mit den Schultern.
„Ich bete täglich still im Herzen“, sagte Cosmo, obwohl es nicht stimmte. Aber es durfte nicht sein, dass ein Heide ihm, dem Christen, vorwarf, ungläubig zu sein.
„Ich auch“, sagte Ibrahim aus dem selben Grund. Einen Augenblick lang lag Spannung in der Luft.
Von hinten übertönte Paddys laute Stimme das Knattern der Segel im Wind. „Wo sind denn die zwei Nichtsnutze! Wollen wohl den ganzen Nachmittag auf der faulen Haut liegen, während ein alter Seemann wie ich für sie schuften soll.“ Ibrahim und Cosmo lachten. Sie halfen sich gegenseitig auf und rannten über die Planken des Decks zu Paddy, der sie vorwurfsvoll anblinzelte.

Veröffentlicht unter Adventkalender

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