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Adventkalender – 18 – Ruprecht

Die Mäuse schliefen tief und fest. Katrinchen träumte von einer prall gefüllten Vorratskammer. Sie schleckte sich im Traum mit der Zunge die Lippen ab. „Käse, Brotkrusten, Speck“ murmelte sie. Ein bisschen Speichel tröpfelte dabei aus ihrem Mund und fiel auf Ruprechts Gesicht, der sich eng an die Mutter angekuschelt hatte. Ruprecht wachte mit einem Ruck auf und wischte sich verschlafen das Gesicht ab.
„Wo bin ich?“, dachte er und es dauerte einen Augenblick, bis er sich an alles erinnern konnte. Er schaute sich um. Um ihm herum lagen eng aneinander geschmiegt die anderen. Er setzte sich ein wenig auf und schob dabei vorsichtig Leontinchens Bein von seinem Bauch. Sein Magen knurrte plötzlich und meldete „Hunger“. Suchend schaute sich Ruprecht im Halbdunkel um. Irgendwo mußte seine Reisetasche liegen und in der Tasche gab es noch ein Stückchen Zwieback. Ruprecht kroch vorsichtig über die Bäuche und Beine seiner Familie aus dem Kissen heraus. Neben dem Kissen lagen verstreut die Taschen. Schnell öffnete er seine und holte den Zwieback heraus. Er setzte sich gemütlich hin und aß. Als sein ärgster Hunger gestillt war, schaute er sich um. Er war jetzt ganz wach und beschloss, auf Entdeckungsreise zu gehen. Auf Zehenspitzen schlich er fort. Neugierig kroch er über die Bänke und Sessel, roch an der großen Statue und bestaunte das Gemälde, auf dem ein König, der mühelos eine ganze Kirche in der Hand hielt, abgebildet war. In einer Ecke entdeckte er einen kleinen Spalt. Und aus dem Spalt duftete es unheimlich gut nach schimmligem Speck. Ruprecht steckte seine Nase tief in den Spalt hinein und schnupperte gierig. Er konnte diesem Duft nicht widerstehen und kroch in den Spalt hinein.
„Vielleicht“, dachte er aufgeregt, „gibt es hier eine zweite Mäusefamilie mit Kindern zum Spielen und sie laden mich sicher zum Essen ein“.
Hastig kroch er weiter, bis er mit seiner Nase an einer kleinen Tür anstieß. Er wollte schon die Tür aufmachen und freundlich lächelnd eintreten, als hinter der Tür eine Stimme sprach, die gar nicht nach Maus klang. Erschrocken presste sich Ruprecht gegen die Tunnelwand und machte sich klein. Die Stimme dröhnte laut: „Brüder lasst uns das Komplott mit einem Umtrunk besiegeln. Bald sind wir die Herrscher und alle werden nach unserer Pfeife tanzen“!
Ein brüllendes Gelächter folgte und dann rief eine kehlige Stimme: „Ein Hoch auf Roderick den Grausamen“. Ruprecht kannte solche Stimmen. Einmal bereits hatte er sie gehört, als er sich am späten Nachmittag beim Versteckspielen in einem Reserverad in der Garage verkrochen hatte. Gesehen hatte er damals niemanden und seiner Familie hatte er nichts davon erzählt. Die Stimmen hatten nämlich so grausam, kalt und berechnend geklungen, dass Ruprecht überzeugt gewesen war, dass er Geister, böse Geister, gehört hatte. Nächtelang hatte er nachher kaum geschlafen. Mit der Zeit war der Schrecken verblasst und die Angst weniger geworden, aber jetzt auf einen Schlag waren diese Geisterstimmen wieder da, hinter dieser Tür. Ruprecht stand wie angenagelt. Sein Herz klopfte in seinem Hals. Er wollte weglaufen aber er konnte nicht. Seine Füße waren wie angewachsen. Er musste hilflos zusehen, wie die Türklinke hinunter gedrückt wurde und die Tür sich öffnete. Ruprecht hoffte unsichtbar zu sein. Vor lauter Angst konnte er nicht einmal die Augen schließen. Er starrte, wie hypnotisiert auf die Tür.

Veröffentlicht unter Adventkalender

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