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Adventkalender – 24 – Die große Schlacht

Es war am Abend vor dem 24. Dezember. Der Mesner hatte die Krippe schon vom Chor herunter geholt und auf dem Seitenaltar aufgestellt. Der Pfarrer hatte die Figuren sorgfältig abgestaubt und in die Krippe gestellt. Maria und Josef, Ochs und Esel und in der Mitte das Jesuskind in seiner kleinen Futterkrippe. Zufrieden drehte der Pfarrer das Licht ab, sperrte die Kirche zu und ging nach Hause.
Einige Stunden später, es war fast Mitternacht, schlichen die Mäuse in den finsteren Kirchenraum hinauf. Tante Clementia, Katrinchen und Großonkel Paulus hielten brennende Kerzen in der Hand. Leontinchen trug die Knallfrösche und Nikolaus eine Zündholzschachtel mit Zündhölzern. Ruprecht hielt Großonkels Pfeife in der einen Hand und seinen Tabaksbeutel in der anderen. Simon hatte seinen Rucksack mit der Heldenausrüstung am Rücken und ging voran. Sie hatten den Plan gut vorbereitet und jeder wusste was er zu tun hatte. Zuerst gingen sie zum großen Tisch in der Mitte der Kirche und Simon schoss mit seinem Pfeil und Bogen einen Faden hinauf. Der Pfeil bohrte sich tief ins Blumengesteck und Tante Clementia, die die Rolle der Stimme übernehmen sollte, kletterte schnaufend auf den Tisch hinauf. Sie versteckte sich hinter dem Mikrophon. Katrinchen war inzwischen zum Kasten mit dem Knöpfen gegangen und drückte mal diesen mal jenen Knopf, bis sie alle auf einmal laut und deutlich Tante Clementias Atem hören konnten.
„Es ist eingeschaltet“, flüsterte Nikolaus.
Jetzt gingen sie zur Krippe, die ein wenig abseits auf einem weiteren Tisch stand. Simons Pfeil und Bogen wurde wieder benützt und bald saßen sie alle oben im Stall. Ruprecht schielte über den Rand der kleinen Futterkrippe und schaute in das freundliche Gesicht des Jesuskindes.
„Es schläft“, sagte er leise.
Katrinchen wollte ein wenig mit der Mutter des Kindes plaudern um sie zu warnen. Aber diese rührte sich nicht.
„Sie sind viel kleiner als echte Menschen und stehen so still und starr. Ich glaube sie sind verzaubert“, meinte sie schließlich.
„Das ist durchaus möglich“, sagte Großonkel Paulus, der in seinem langen Leben schon viele seltsame Dinge erlebt hatte. „Wahrscheinlich werden sie erst am 24. Dezember bei dieser Krippenandacht erlöst“.
„Wir werden euch beschützen“, versprach Leontinchen der verzauberten Familie. Sie gab Nikolaus ihre Knallfrösche und versteckte sich dann zusammen mit Ruprecht hinter dem verzauberten Esel.
Nikolaus kroch hinter den Vater des Kindes und hielt die Knallfrösche in seiner Pfote. Katrinchen saß neben ihm und hatte Zündhölzer und Schachtel bereit. Großonkel Paulus hatte den Ochsen als Versteck ausgewählt und stopfte sorgfältig seine Pfeife. Und Simon, der bereit war das Kind bis zum äußersten zu verteidigen, hatte sich neben ihm im Stroh verkrochen. In seiner kleinen Hand hielt er das Brotmesser.
In zwei Minuten würde es Mitternacht sein. Angespannt blickten alle in den finsteren Raum. Punkt Mitternacht hörten sie Trommel schlagen, Soldatenstiefeln auf Fliesen auftreten und einen kehligen, falschen Gesang: „Wir sind die Soldaten Rodericks. Wir haben keine Angst. Wir vernichten, plündern, rauben. Alle müssen daran glauben. Rücksichtslos und gemein sind wir, und grausam oben drein“.
Der Gesang kam immer näher und näher. Jetzt müssten die Ratten schon unmittelbar unter dem Tisch stehen.
„Wo bleibt Tante Clementias Stimme?“, dachte Nikolaus verzweifelt. Er durfte die Knallfrösche erst schmeißen, nachdem Tante Clementia den Untergang angekündigt hatte. So war der Plan ausgemacht worden. Doch wo blieb ihre Stimme?
Die Ratten machten sich unten für den Angriff bereit. Die Mäuse hörten, wie die Ratten sich in Formationen aufstellten und ihre Bögen spannten.
„Brüder“, sprach die eiskalte Stimme Rodericks,“ wir werden jetzt in wenigen Sekunden den Angriff starten. Gebt alles was ihr habt für mich. Wenn einer Feigheit zeigt, dann sollen ihn die anderen erdolchen. Seid deshalb tapfer und wer ihm Kampf sterben sollte, stirbt für mich. Eine größere Ehre kann es für euch nicht geben. Kämpft!!!“
„Haltet ein!“, dröhnte die unsichtbare Stimme.
Nikolaus atmete erleichtert auf. Tante Clementia hatte gerade noch rechtzeitig gesprochen. Hoffentlich würden die Ratten fliehen.
„Ihr Törichten“, Tante Clementia ging völlig auf in ihrer Rolle als Verkünderin des Weltunterganges, „ihr Törichten. In wenigen Minuten wird die Welt untergehen. Und ihr, die ihr euer irdisches Leben damit verbracht habt zu saufen, plündern, rauben und morden, ihr werdet in der Rattenhölle schmoren. Doch noch habt ihr Zeit das zu verhindern. Lasst ab von diesem Angriff, flieht hinaus in die Kälte, wascht euch rein im Schnee und legt euch dann regungslos hin. Dann werdet ihr vielleicht gerettet werden“.
„Erfrieren werdet ihr“, dachte Katrinchen und hoffte, dass die Ratten Tante Clementias Anweisungen befolgen würden.
Unter ihnen hörten die Mäuse die Ratten flüstern.
„Wir sollten fliehen.“
„Ich habe Angst.“
„Ich auch.“
„Wer kann das sein?“
Doch plötzlich knallte eine Peitsche und Roderick rief: „Ihr Narren, es gibt keinen Weltuntergang. Da oben sitzt jemand und treibt Spaß mit uns. Aber das wird ihm vergehen. Ergreift diesen Spaßmacher. Ich will ihn lebendig, damit ich selbst mit ihm abrechnen kann. Greift an!!“
Die Ratten schossen ihre Enterhaken ab. Klirrend fielen diese auf das Dach des Stalles und durchbohrten es. Nikolaus hörte die Ratten hinaufklettern.
„Sobald der erste über die Kante kommt, schießen wir die Knallfrösche“, flüsterte er zu Katrinchen. Diese zündete mit zittriger Hand das Zündholz an und hielt die Flamme an die Lunten. Rattenpfoten griffen über die Tischkante und Rattengesichter folgten. Nikolaus warf die Knallfrösche. Ein riesiger Knall und noch einer dröhnten durch die Kirche und Großonkel Paulus blies unermüdlich Rauchwolken aus seiner Pfeife. Ratten schrien auf. Die, die schon oben waren, versuchten über die nachkommenden Ratten wieder hinunter zu klettern. Rücksichtslos stießen sie sich gegenseitig. Jeder wollte als erster wieder unten sein. Die Mäuse hörten, wie die Ratten über die Fliesen davon rannten.
Sie hörten Rodericks Peitsche knallen und sie hörten ihn schreien: „Bleibt stehen ihr feigen Nichtsnutze! Es gibt keinen Weltuntergang. Kommt zurück. Schaut her, ich selber werde hinaufklettern, den Spaßmacher töten und mir das Kind holen. Bleibt stehen und schaut her“. Doch keine der Ratten blieb stehen. In wilder Flucht rannten sie aus der Kirche.
Die Mäuse hielten den Atem an. Würde Roderick wirklich hinaufkommen. Simon umklammerte das Brotmesser. Er würde das Kind beschützen! Sie sahen, wie das Seil sich spannte. „Er kommt“, flüsterte Nikolaus.
Simon schaute über den Rand der Krippe, das Seil verlief direkt über seinen Kopf. Er nahm das Brotmesser und fing an das Seil durch zu sägen. Das Seil war dick und das Messer stumpf. Er blickte zur Tischkante. Er sah die Pfote Rodericks, wie sie versuchte sich am Rand festzuhalten. Simon verdoppelte seine Anstrengungen. Er sah den Kopf Rodericks. Und Roderick schaute ihn triumphierend an. Seine Augen schienen zu sagen: „Ich kriege dich jetzt. Du hast keine Chance. Du bist so gut wie tot“.
Aber dann sägte Simon die letzte Seilfaser durch und Roderick stürzte in die Tiefe. Sie hörten seinen Schrei und dann wurde es still. Die Mäuse liefen zur Tischkante und blickten hinunter. Unten lag Roderick regungslos.
„Hurra!“ rief Ruprecht immer und immer wieder.
Wenig später kam Tante Clementia hinaufgeklettert. Sie fielen sich alle um den Hals und weinten vor Freude. Dann legten sie sich erschöpft zwischen Ochs und Esel und schliefen ein. Morgen, am 24. Dezember, würde das Kind ihnen die Ernte bringen.
Als der Pfarrer in der Früh die Kirche betrat, und zur Krippe schaute, sah er unten auf dem Boden eine tote Ratte liegen. Ihn schauderte. Dann blickte er in die Krippe und sah sechs kleine Mäuschen friedlich zwischen Ochs und Esel schlafen, und eine kleine Maus neben Jesus in der Krippe. Seine Pfoten hatte es beschützend um das kleine Kind gelegt. Er beugte sich über sie und sah, wie sich das kleinste Mäuschen im Traum die Lippen leckte. Leise holte der Pfarrer aus der Sakristei eine Schachtel, legte Stroh hinein und ging damit zur Krippe. Vorsichtig hob er die Mäuschen einzeln auf und bettete sie ins warme Stroh. Dann trug er sie in den Garten des Pfarrheimes zu einem alten Baum, der innen hohl war. Dort hinein stellte er die Schachtel und verschwand. Wenig später war er jedoch wieder da, beladen mit Zwieback, Käse, Speck und allem, wovon hungrige Mäuse im Schlaf träumen.
„Frohe Weihnachten“, sagte er leise.

Veröffentlicht unter Adventkalender

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